Padre Ernesto Cardenal zum 95. Geburtstag
Um die Frage, ob das Werk und die Wirkungsgeschichte eines Dichters sich gegenseitig im Wege stehen, wird gerne gestritten. Für Cardenal war und ist das Thema nie relevant. Für ihn sind Dichtung und Handeln immer eine Einheit. Er hatte auch nichts dagegen, wenn ein Verlag seine Poesie als „poesía de uso“ (Gebrauchs-Dichtung) bezeichnete. Es wäre auch müßig, zu rätseln, warum Tausende in den Hallen mehrerer Kirchen- und Katholikentage ihn hören und sehen wollten. Sicher ist, dass er Spuren hinterlassen hat, seit seinen ersten Büchern (den Psalmen, das Buch von der Liebe) und seinem ersten Besuch in Deutschland 1973. Da waren seine Auftritte Anklagen, gegen die Diktatur der Familie Somoza und ihren Raubzügen. Weihnachten zuvor hatte ein Erdbeben Managua zerstört und der Diktator hatte mit seinen Kumpanen die meisten Hilfsgüter aus dem Ausland in seine Tasche gesteckt und aus dem Leid der Bevölkerung ihren Reichtum vergrößert.
Bei diesem ersten Besuch traf Cardenal in der Universität Köln die Theologin Dorothee Sölle, die später eine Zeitlang nach Nicaragua ging, um zu lehren und um zu lernen. Am gleichen Tag traf der Dichter einen unbekannten nicaraguanischen Studenten, Enrique Schmidt-Cuadra, mit dem später die Solidaritätsbewegung mit Nicaragua in Deutschland und Europa begann. Auch das ein Stück Wirkungsgeschichte; Cardenal zeigte sich niemals erstaunt über solche geheimnisvollen, manchmal magischen Zusammenhänge.
Dass seine eher zufällige Begegnung mit dem Schauspieler Dietmar Schönherr, 1983 in Essen in der GRUGA, eines der schönsten Kulturprojekte Zentralamerikas, die Casa de los Tres Mundos, zur Folge haben würde, konnte damals niemand ahnen. Daraus entstand nicht nur eine enge Freundschaft zwischen zwei Seelenverwandten, sondern in Deutschland auch der Verein Pan y Arte in Münster. Es geht heute, Jahrzehnte später, nicht nur um das wunderbare ‚Haus der drei Welten‘ in Granada am Großen See von Nicaragua, wo sich Kulturschaffende aus aller Welt zusammen finden, Kinder und Erwachsene unterrichtet werden, Malerei gelehrt und gelernt wird. Inzwischen gibt es die Musikschule Música en los Barrios in Managua, begründet von Luise Scherf, der Frau von Henning Scherf, der viele Jahre Pan y Arte als Vorsitzender leitete. Und da ist das Dorf Malacatoya, und es gibt die Bibliothek für Kinder und Erwachsene mit dem Bücherbus, die der Verein tatkräftig unterstützt.
Bis heute sind es Hunderte, die den Verein regelmäßig unterstützen; ein großer Freundeskreis von Menschen, die glauben, dass „Brot und Kunst“ untrennbar zusammengehören. Förderer, Spender, Mitarbeiter, auch in Nicaragua! Denn die Verantwortung für die Projekte liegt inzwischen weitgehend bei Nicaraguanern und Nicaraguanerinnen. Was gerade in politisch schwierigen Zeiten wichtig ist.
Bis ins hohe Alter unterstützt Ernesto Cardenal tatkräftig diese Projekte. Mit seiner Zeit, seinem internationalen Ansehen und seinem Werk. Mit Hermann Schulz, seinem Verleger in Deutschland, der über fast vierzig Jahre seine Werke betreute und im Vorstand von Pan y Arte tätig war, verbindet ihn enge Freundschaft, die immer schon weit über die üblichen Beziehungen zwischen Autor und Verleger hinaus geht. Beide sind sich einig, dass sie mit ihrer Arbeit Spuren hinterlassen wollen.
An diese wundersamen Zusammenhänge – üblich als Zufälle bezeichnet - sei erinnert mit diesem Gruß und Glückwunsch an den Dichter zu seinem 95. Geburtstag! Wir wünschen ihm Gesundheit und vielleicht Freude an dem Gedanken, dass sein literarisches Werk und unsere Projekte miteinander verbunden sind – und es bleiben werden! Wenn wir ihm dafür dankten, würde er lächeln und in seiner lakonischen Art sagen: „Wir sind doch eine Gemeinschaft gleicher Menschen auf der gleichen Erde!“
Vorstand Pan y Arte & Dietmar Schönherr und Luise Scherf-Stiftung für Pan y Arte