Roberto, erzähl uns von Deinem ersten Treffen mit Ernesto. Wo und wann war es?
Unsere erste Begegnung war während der Buchmesse in Managua 1986. Ich begleitete die Gruppe von Pit Jansen bei einer Tournee durch Nicaragua. Wir wurden vom damaligen Kulturminister Ernesto Cardenal zu einem Empfang eingeladen, an dem auch Dietmar Schönherr teilnahm. Ein paar Jahre später - inzwischen waren Dietmar und ich Freunde geworden - saßen Dietmar, Ernesto und ich bei Dietmar bis spät in die Nacht bei nicaraguanischem Rum zusammen und dachten über Möglichkeiten nach, ein gemeinsames Programm zu entwickeln. Das führte zu einer intensiven künstlerischen Zusammenarbeit zwischen Grupo Sal und Ernesto Cardenal, die fast 25 Jahre währte. In den ersten Jahren las Dietmar die Texte von Ernesto.
Was hat Dich bei Deinen Treffen mit Ernesto besonders beeindruckt?
Bei unserer ersten gemeinsamen Tour hat mich hat sehr beeindruckt, wie "normal" Ernesto war. Keinerlei Starallüren. Er wollte keine Sonderbehandlung wegen seiner Bekanntheit, wollte kein besonderes Essen, usw. Er wollte, dass wir, die Musiker und er, uns auf Augenhöhe begegnen. Ernesto hasste Repräsentationsaufgaben, wie Einträge ins goldene Buch oder Treffen mit Politikern und er hatte ein unglaubliches Gedächtnis: Er wusste ganz genau, wann er wen schon mal getroffen hatte, worüber gesprochen worden war. Ernesto war immer sehr "bei sich": Er war introvertiert. Oder wie er es ausdrückte: Ein kontemplativer Mönch.
Aber auch sein unerschütterlicher Optimismus. Auch wenn er sich leicht ärgerte, hab´ ich ihn niemals mutlos erlebt.
Was bewunderst Du an Ernestos Werk?
Seine Fähigkeit, politische Prinzipien und Ästhetik zu vereinen. Sein Optimismus bzw. die feste, unerschütterliche Überzeugung, dass die Evolution in Richtung Vervollkommnung der Menschheit läuft. Ich bewundere seine Geradlinigkeit: Die Tatsache, dass er sich nicht hat korrumpieren lassen.
Welche Rolle spielte Ernesto für Pan y Arte?
Ernesto hat Dietmar erst einmal nach Nicaragua eingeladen und später davon überzeugt, bei seinem Ansinnen, in Nicaragua Aufbauhilfe für die junge Revolution zu leisten, sich auf Kulturarbeit zu konzentrieren.
Ernesto hat Dietmar vom Haus seines Onkels in Granada erzählt und sie haben es gemeinsam besucht. Das ist die heutige Casa! Beide zusammen haben den Namen "Casa de los Tres Mundos" "erfunden". Dieses Haus sollte die indigene Kultur Amerikas, die europäische und die afrikanische Kultur der Sklaven miteinander verbinden.
In den Anfangsjahren hat Ernesto sehr aktiv und erfolgreich für die Arbeit und das Wachstum der Casa de los Tres Mundos geworben und dabei die Anliegen von Pan y Arte unterstützt. Ernesto hat durch seine Konzertlese-Reisen in Deutschland, Österreich und der Schweiz maßgeblich zum Renommée der Casa und der anderen von Pan y Arte unterstützten Projekte im deutschsprachigen Raum beigetragen. Auf diesen Reisen wurde in den ersten Jahren viel Geld für die Restaurierung und den Aufbau der Casa gesammelt, aber es wurden auch Mitarbeiter für den Umbau "rekrutiert". Viele Freunde und Förderer sind über diese Konzertlesungen zu Pan y Arte gekommen.
Welche Spuren hinterlässt Ernesto in der Casa de los Tres Mundos? Was wünschte er sich für die Zukunft des Kulturzentrums?
Ernesto ist Mitbegründer der Casa. Die Casa ist "sein" Haus. Das internationale Poesiefestival von Granada wurde von Ernesto mit aus der Taufe gehoben. Er wird der Casa als Mitgastgeber dieses Festivals fehlen.
Ernesto war davon überzeugt, dass Dichtung zu einer besseren und gerechteren Welt beitragen kann. Er wünschte sich, dass sich Pan y Arte für das geschriebene Wort in den Projekten einsetzt. Und das tun wir: Im Stadtteilprogramm Locreo gibt es Kurse zum kreativen Schreiben, in der Deutsch-Nicaraguanischen Bibliothek gibt es zwei Lesekreise, in denen sich junge und ältere Poeten versammeln. Denn Nicaragua ist das Land der Dichter!
Wie wird Nicaragua ohne Ernesto sein?
Es wird jemand fehlen, der durch sein weltweites Renommée geschützt den Mächtigen auf die Finger haut. Jemand, der nicht davor zurückscheut, Korruption und Machtmissbrauch öffentlich anzuprangern.
Ohne die Gründerväter Dietmar und Ernesto - wie geht es für Dich weiter bei Pan y Arte?
Ihre Worte, ihr Erbe sind meine Richtschnur und geben mir Kraft: Ich teile ihre Überzeugung, dass Kultur ein Grundnahrungsmittel ist und deshalb lebensnotwendig, um frei und selbstbestimmt zu leben. Ich fühle das große Privileg, dass meine Kinder und Enkelkinder Zugang zu hochwertiger Kultur haben, sie lernen Musikinstrumente, spielen in Schulorchestern, singen in Chören… Ich möchte mit meiner Zeit und Energie dazu beitragen, dass dieser Zugang noch mehr Kindern in Nicaragua möglich ist.